Der kleine
Zeitgeist

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Auf seiner Tour durch die Stadt hielt der kleine Übergang immer wieder einmal an, beobachtete Dinge und schwebte weiter. Er bemerkte, dass er langsam ein wenig müde wurde. Aber er war auch weiterhin neugierig und er traf ja lauter wunderbare Kinder. Alles war spannend und neu für ihn.

Da fiel ihm auf, dass ihm schon wieder Kästchen begegneten. Sehr viele sogar und sie waren sehr klein. Er sah, dass die Menschen diese Kästchen auf Händen tragen, den ganzen Tag lang. Sie schienen eine Menge zu können, diese besonderen Kästchen, denn die Menschen schauten gar nicht mehr von ihnen auf. Ihre Hälse waren schon ganz verbogen.

„Ob das richtige Zauberkästen sind? Das wäre ja famos! Und manchmal, da stolpern die Menschen, weil sie nicht auf den Weg, sondern nur auf das Kästchen achten. Und manchmal laufen sie fast ineinander, weil sie nicht nach vorne gucken. Das sieht dann ganz schön lustig aus!“. Er machte die Erwachsenen nach, und schwebte mit gesenktem Kopf ein Stück vor sich hin. Und schon wieder machte es „boing!“, denn er war direkt in die Arme von zwei Mädchen geschwebt und alle drei waren umgepurzelt.

„Upsi, Entschuldigung!“, sagte er. Als sie sich alle wieder aufgerappelt hatten, sagten die zwei Mädchen gleichzeitig. „Wenn das mal so lustig wäre.“ Sie hießen Marlene und Klara. „Diese Kästchen heißen HANDYS“, sagte Marlene, „und sie können alles. Sie können wirklich die tollsten Sachen machen und sie haben Antworten auf fast alle Fragen. Leider legen die Menschen sie daher fast gar nicht mehr weg. Und deswegen reden die Menschen gar nicht mehr richtig miteinander. Und deswegen schauen die Menschen sich kaum noch richtig in die Augen und stolpern durch die Welt. Bei Mama und Papa ist das genauso. Und bei den Mamas und Papas von unseren Freundinnen und Freunden auch. Und bei den jungen Leuten und den Menschen aus der Nachbarschaft. Sogar die Omas und Opas sind nicht besser.“

„Aber man muss doch miteinander reden!“, sagte Ü, „wem soll man denn sonst all die Fragen stellen, die das Kästchen nun wirklich nicht beantworten kann? Warum man zwei Augen, aber nur eine Nase hat zum Beispiel. Oder warum Pfützenspringen in großen Pfützen noch viel mehr Spaß bringt als in kleinen. Oder warum Marzipan nicht nur gut für den Bauch, sondern auch für das Herz ist.“ Er dachte nach und runzelte die Stirn. „Und: wie soll man sich denn in den Arm nehmen oder schmusen oder jemanden trösten, wenn man das Kästchen immer in der Hand hält?“. „Ganz genau das ist ja das Problem“, sagte Klara.

Der kleine Ü wurde nachdenklich und wühlte gedankenversunken in seinem Gewand herum. „Ich hab‘s!“, sagte er, „die Menschen mögen doch so gerne Kästchen – egal ob groß, mittel oder klein! Dann brauchen sie einfach ein Kästchen für ihr Kästchen, also ein Kästchen für ihr Handy! Zur Erholung! Dann können die Menschen sich wieder in die Augen schauen. Dann können sie wieder miteinander reden, ohne abgelenkt zu sein.“

Dann widmete er sich wieder dem Geheimfach in seinem Gewand und zog ein Stück Holz und ein paar sehr kleine Nägel und Farbe hervor. Er zimmerte alles fachgerecht zusammen, malte es an in seiner Lieblingsfarbe – bunt – und übergab es an Klara und Marlene. „Guckt mal, ein Erholungskästchen für Mamas und Papas Handy mit Doppelfach.

Er war ein bisschen stolz auf die Erfindung und seine kleine Nase kitzelte wie verrückt. Aber niesen musste er nicht. Sondern? Was jetzt passierte, wisst ihr ja schon. Ganz genau. Er wuchs wieder ein kleines bisschen weiter.

Klara und Marlene sahen glücklich aus und liefen nach Hause. Von weitem versprachen sie dem kleinen Übergang am nächsten Tag zu berichten, ob dem Handy sein Kästchenurlaub gefallen hat.