Sabine Meyer und ihre Liebe zu Lübeck
Es ist ein früher Morgen an der Trave. Noch sind die Barkassen am Ufer vertäut, ein leichter Wind weht über das Wasser. Einst liefen hier Schiffe aus der weiten Welt in den Hafen ein, heute sind es Touristenboote, die zu Spazierfahrten ablegen.
Am Ufer der Trave sind wir mit einer Frau verabredet, die schon in ihrer Kindheit für Mozart schwärmte und vor 25 Jahren in Lübeck eine Heimat gefunden hat: der Klarinettistin Sabine Meyer. Mit ihr besteigen wir ein kleines Elektroboot, um die Altstadtinsel zu umrunden. Vom Wasser aus, so weiß die weltbekannte Solistin, habe man die beste Sicht auf die sieben Kirchtürme der Stadt, auf die Treppen- und Rundgiebel architektonischer Kleinode, auf Lübecks einzigartige Backsteinarchitektur. Schon oft hat sie Freunden ihre Wahlheimat von den Wasserwegen aus nahegebracht, gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem renommierten Musikprofessor Reiner Wehle. In dieser Woche ist er auf Reisen, Sabine Meyer ist ein paar Tage allein in Lübeck. Eine Seltenheit. Für gewöhnlich ist sie diejenige, die mit ihrer Klarinette in der Welt unterwegs ist: China, Korea, Australien, dann wieder Europa. Etwa 160 Tage im Jahr, für 70 bis 80 Konzerte. „In meinem Unterwegssein strahlt Lübeck etwas Geborgenes aus, etwas Wärmendes“, schwärmt sie für die beschauliche Stadt, deren mittelalterliche Kern seit 1987 zum UNESCO-Welterbe gehört. „Ich komme jedes Mal gern nach Hause zurück.“ Trotz aller Überschaubarkeit habe die Kulturstadt unglaublich viel zu bieten: die Museen, die Kunstsammlungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, das Orchester, das Schleswig-Holstein Musik Festival, das Theater. „Dennoch ist die Stadt selbst kein Museum, nicht bloße Kulisse. Sie ist lebendig. Und die engen Gassen kontrastieren ganz wunderbar mit der Weite, die schon die Ostsee erahnen lässt.“ Sabine Meyer hält ihr Gesicht in den Wind, schließt die Augen. Ein kleiner Moment der Selbstversunkenheit. Kontemplation ist für die geschäftige Frau vor allem in der Musik möglich – in der Musik und am Wasser. Fast lautlos gleitet das Boot dahin, die Spiegelbilder der Häuser zittern in der Trave. Jedes von ihnen hat eine ganz eigene Geschichte, die vom romanischen Zeitalter erzählt, von der Renaissance, dem Klassizismus, der expressionistischen Umorientierung.